Topographische Charte der umliegenden Gegend von Jena. Nach eigenen Messungen und andern originalen Zeichnungen neu entworfen, vergrößerter Ausschnitt. Weimar 1806.

Goethe und Jena

Topographische Charte der umliegenden Gegend von Jena. Nach eigenen Messungen und andern originalen Zeichnungen neu entworfen, vergrößerter Ausschnitt. Weimar 1806.
Karte: Franz Ludwig Güssefeld

Mit Jena ist Johann Wolfgang von Goethe über fünf Jahrzehnte eng verbunden. Summiert man die einzelnen Aufenthalte von der ersten Begegnung am 23. Dezember 1775 bis zum letzten Besuch des Botanischen Gartens Mitte Juni 1830, dann zeigt sich eine mehr als fünfjährige Präsenz in der Stadt, die Goethe zu einer zweiten Heimat wird. Als Universitätsstadt bildet Jena den geistigen Mittelpunkt des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. An diesem Ort ist Goethe mit Ausdauer und Intensität über Jahre hinweg tätig: sowohl amtlich, literarisch und künstlerisch wie wissenschaftlich und wissenschaftspolitisch. In vielen Fällen spielt die Naturforschung eine wichtige Rolle. 1784 gelingt ihm die (Wieder-)Entdeckung des Zwischenkieferknochens beim Menschen. Aber auch institutionell stellt Goethe die Bereiche der sich ausdifferenzierenden Naturwissenschaft auf eine neue Basis, schafft mit dem Aufbau von Sammlungen, Instituten und Lehrstühlen eine produktive Infrastruktur der Forschung. In seinen Tag- und Jahresheften heißt es im Bericht über das Jahr 1790, zwei Jahre nach der Rückkehr aus Italien:

»Meine frühern Verhältnisse zur Universität Jena, wodurch wissenschaftliche Bemühungen angeregt und begünstigt worden, eilte ich sogleich wieder anzuknüpfen. Die dortigen Museen fernerhin unter Mitwirkung vorzüglicher sachkundiger Männer vermehrt aufzustellen, zu ordnen und zu erhalten war eine so angenehme als lehrreiche Beschäftigung, und ich fühlte mich beim Betrachten der Natur, beim Studium einer weitumhergreifenden Wissenschaft für den Mangel an Kunstleben einigermaßen entschädigt. »Die Metamorphose der Pflanzen« ward als Herzenserleichterung geschrieben. Indem ich sie abdrucken ließ, hoffte ich ein Specimen pro loco den Wissenden darzulegen. Ein botanischer Garten ward vorbereitet.«

Goethe hat großen Anteil daran, dass die »Salana« um 1800 zu einer der führenden Hochschulen in Deutschland wird und ‒ besonders auf den Feldern der Philosophie und der Literatur ‒ europäische Bedeutung gewinnt. Karl Ludwig von Knebel gegenüber gibt er Ende März 1797 eine kleine Übersicht über die aktuellen Projekte »der Freunde und Kunstverwandten« in Jena, die ihn zur geistigen Teilnahme auffordern:

»Schiller ist fleißig an seinem Wallenstein, der ältere Humboldt arbeitet an der Übersetzung des Agamemnon von Aeschylus, der ältere Schlegel an einer des Julius Cäsar von Shäkespear, und indem ich so sehr Ursache habe über die Natur des epischen Gedichts nachzudenken, so werde ich zugleich veranlaßt auch auf das Trauerspiel aufmerksam zu seyn, wodurch denn manches besondere Verhältniß zur Sprache kommt.
Dabey bringt noch die Gegenwart des jüngern von Humboldt, die allein hinreichte eine ganze Lebensepoche interessant auszufüllen, alles in Bewegung was nur chemisch, physisch und physiologisch interessant seyn kann, so daß es mir manchmal recht schwer ward mich in meinen Kreis zurück zu ziehen.
Nimmst du nun dazu daß Fichte eine neue Darstellung seiner Wissenschaftslehre, im Philosophischen Journal, herauszugeben anfängt, und daß ich, bey der speculativen Tendenz des Kreises in dem ich lebe, wenigstens im Ganzen Antheil daran nehmen muß, so wirst du leicht sehen, daß man manchmal nicht wissen mag wo einem der Kopf steht, besonders wenn noch reichliche Abendessen die Nacht verkürzen und die den Studien so nöthige Mäßigkeit nicht begünstigen. Ich freue mich daher bald wieder nach Weimar zu kommen um mich wieder in einem andern Kreise zu erholen. Unglaublich aber ist's was für ein Treiben die wissenschaftlichen Dinge herumpeitscht und mit welcher Schnelligkeit die jungen Leute das, was sich erwerben läßt, ergreifen.«

Der Brief skizziert den Denkraum, der Ende der 90er Jahre in Jena entsteht, und die kreative Energie und Produktivität, die über den Austausch der Zeitgenossen hervorgerufen wird. Auch die Pflege von Freundschaften kommt dabei nicht zu kurz.

»Goethe ist auch hier viel anders, es ist recht eigen welchen Eindruck der Ort auf ihn macht, in Weimar ist er gleich steif und zurückgezogen, hätte ich ihn hier nicht kennen lernen, so wäre mir viel von ihm entgangen und gar nicht klar geworden«,

schreibt Charlotte Schiller im Oktober 1797 an Fritz von Stein. Fast drei Jahre später, am 29. Juli 1800, erhält Friedrich Schiller, Ende 1799 mit seiner Familie selbst nach Weimar umgezogen, einen heiteren Bericht von Goethes mannigfachen wie abwechslungsreichen Beschäftigungen in der Universitätsstadt:

»Kurze Übersicht derer Gaben, welche mir in dieser Stapelstadt des Wissens und der Wissenschaft, zur Unterhaltung sowohl, als zur geistigen und leiblichen Nahrung mitgetheilt worden.

       Loder gab
              fürtreffliche Krebse, von denen ich Ihnen einen Teller zugewünscht habe,
              köstliche Weine,
              einen zu amputirenden Fuß,
              einen Nasenpolypen,
              einige anatomische und chirurgische Aufsätze,
              verschiedne Anekdoten,
              ein Mikroskop und Zeitungen.

       Frommann
              Griesens Tasso,
              Tiecks Journal erstes Stück.

       Fr. Schlegel
              Ein eignes Gedicht,
              Aushängebogen des Athenäum.

       Lenz
              Neue Mineralien, besonders sehr schön krystallisirte Chalcedone.

       Mineralogische Gesellschaft:
              Einige Aufsätze hohen und tiefen Standpuncts, Gelegenheit zu allerlei Betrachtungen.

       Ilgen
              Die Geschichte Tobi’s,
              Verschiedne heitre Philologica.

       Der botanische Gärtner
              Viele Pflanzen nach Ordnungen, wie sie hier im Garten stehen und zusammen blühen.

       Cotta
              Philiberts Botanik.

       Der Zufall      
              Gustav Wasa von Brentano.

       Die Literaturhändel
              Lust Steffens kleine Schrift über Mineralogie zu lesen.

       Graf Veltheim
              Seine zusammengedruckten Schriften, geistreich und lustig; aber leider leichtsinnig,                                    dilettantisch, mitunter hasenfüßig und phantastisch.

       Einige Geschäfte
              Gelegenheit mich zu vergnügen und zu ärgern.
      
[…]

Wenn Sie nun alle diese Gespenster durch einander spuken lassen, so können Sie denken daß ich weder auf meinem Zimmer, noch auf meinen einsamen Promenaden allein bin. Für die nächsten Tage ist mir noch die wunderlichste Mannigfaltigkeit angekündigt, wovon mit nächstem Botentag das mehrere. Zugleich werde ich auch den Tag meiner Rückkunft bestimmen können. Leben Sie recht wohl und thätig, wenn Ihnen diese Barometerhöhe so gut als mir bekommt.«

Die unten angefügte Chronik der Jenaer »Gaben« mag demonstrieren, wie sich das vielschichtige, kontinuierliche und höchst bewegliche Engagement Goethes in der Universitätsstadt im Laufe seines Lebens zu einem leuchtenden Bogen wölbt, der nicht zuletzt Weimar und Jena miteinander verbindet:

»Stets geforscht und stets gegründet, / Nie geschlossen, oft geründet.«

                                                                                                               (Weite Welt und breites Leben, Jena 1817)

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