Goethes Botanisches Besteck (Lupe)

Rundgang durch die Ausstellung

»Bewegliche Ordnung«
Goethes Botanisches Besteck (Lupe)
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Goethes Morphologie und Metamorphosenlehre

Dichter, Künstler und Naturforscher

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) war nicht nur Dichter und Staatsmann, sondern auch ein engagierter Naturforscher. Sein tätiges Interesse an den Wissenschaften entwickelte sich seit der zweiten Hälfte der 1770er Jahre: Beginnend mit der Geologie und Mineralogie führte ihn der Weg weiter zu Anatomie und Botanik, dann zur Theorie der Farben und schließlich auch zur Meteorologie.

Das Goethe-Laboratorium befindet sich in den Räumen des ehemaligen Inspektorhauses. Goethe ließ es 1825/26 neu erbauen und hielt sich öfters hier auf, wenn er Jena und die Anlage des Botanischen Gartens besuchte. Der mächtige, über 200 Jahre alte Ginkgobaum im Garten ist zu seinen Lebzeiten gepflanzt worden.

Ausschnitt Goetheportrait von Heinrich Christoph Kolbe: Goethe als Dichter und Künstler vor dem Vesuv. 1826

Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Das lebensgroße Goetheportrait beim Eingang stammt vom Düsseldorfer Maler Heinrich Christoph Kolbe. Es entstand 1822 bis 1826 und kam 1831 als Geschenk an die Universität Jena.
Das Bild zeigt den über 75-jährigen Dichter in einer italienischen Landschaft. Mediterrane Pflanzen, antike Trümmer und der Vesuv im Hintergrund des Bildes verweisen auf die Interessengebiete Goethes.

In dem kleinen Notizbuch ist ein Vers aus Goethes Maskenzug (1818) zu lesen: »Nicht vorbey! Es muß erst frommen.«

»Frommen« bedeutet im Sprachgebrauch der Zeit etwa dasselbe wie »fruchten«.

Mit der Möglichkeit, im Goethe-Laboratorium selbst Hand anzulegen und in seinem Sinn und Geist zu forschen, sollen auch die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung fruchtbare Erkenntnisse gewinnen.

Geologieraum: Tisch mit Granitplatte aus dem Harz und Mineralienschrank (vor der Eröffnung).

Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Mitgliedsurkunde der 1797 gegründeten »Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena« für Georg Wilhelm Hegel. Goethe wurde 1803 Präsident der Vereinigung.

Foto: Friedrich-Schiller-Universität Jena

Geologieraum

Geologie und Meteorologie

Die Mineralogische Sammlung der Universität Jena wurde von Herzog Carl August und Goethe stets gefördert.

Hier studierte Goethe oft sein Lieblingsgestein, den Granit.
»Jeder Weg in unbekannte Gebirge bestätigte die alte Erfahrung«, so schrieb er im Jahr 1785, »daß das Höchste und das Tiefste Granit sei, daß diese Steinart, die man nun näher kennen und von andern unterscheiden lernte, die Grundfeste unserer Erde sei, worauf sich alle übrigen mannigfaltigen Gebirge hinauf gebildet.« (Granit II, 1795)

Wie wichtig die sich ausdifferenzierende Naturforschung und die sich ausbildenden naturwissenschaftlichen Gesellschaften an der Universität werden, zeigt die von dem Bergrat Johann Georg Lenz unterzeichnete Mitgliedsurkunde des Philosophen Hegel: »Die Herzogliche Jenaische Mineralogische Societät urkundet hierdurch, daß sie den Herrn Dr. Georg Wilhelm Hegel durch einstimmige Wahl zum Ehren-Assessor ernannt hat. Jena, den 30. Januar 1804«

Wolkengestalt nach Howard, Tafel aus dem 1. Band der Hefte "Zur Naturwissenschaft überhaupt", 1820

Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe

Goethe studiert nicht nur intensiv Gestaltungsprozesse der Erdgeschichte, sondern auch die Wolkenformationen und besonders ihre Übergänge ineinander. Die kleine Tafel hat er entworfen, um den Wetterbeobachtern der Meteorologischen Station in Jena die Bestimmung der wichtigsten Wolkenformen zu ermöglichen. Goethe übernimmt die von dem englischen Pharmazeuten Luke Howard festgelegten Wolkennamen – Stratus, Kumulus, Nimbus und Zirrus – in die deutsche Wissenschaftssprache.

Anatomieraum: Blick auf den Schädel eines Afrikanischen Elefanten, den Goethe intensiv untersucht hat.

Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Anatomieraum

Anatomische Studien

Schädel und Modelle aus der Anatomischen Sammlung und dem Phyletischen Museum der Universität illustrieren Goethes wichtigste Entdeckung in der Anatomie: den Zwischenkieferknochen beim Menschen. Dieser Knochen, lateinisch Os intermaxillare, ist bei vielen Säugetieren zwischen den Oberkieferhälften gut zu sehen, deutlich abgetrennt mit Knochennähten. Beim Menschen sind diese Nähte jedoch im Normalfall nicht sichtbar. Deshalb bezeichneten die führenden Anatomen im 18. Jahrhundert den kleinen Knochen als Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier.

Goethes Studien zur Formveränderung von Schädeln

Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe

Bei anatomischen Untersuchungen mit dem Jenaer Professor Justus Loder entdeckt Goethe am 27. März 1784 Spuren des Zwischenkieferknochens am menschlichen Schädel.
Sein Fazit daraus: Nicht das Vorhandensein dieses Knochens, sondern seine spezifische Form ist der entscheidende Unterschied zwischen den verschiedenen Tierarten,
zu denen der Mensch anatomisch gesehen auch gehört.
– Das ist damals noch eine kühne Behauptung!

Mit der Arbeit an einer Abhandlung zum Zwischenkieferknochen entwickelt Goethe seine Methode der Reihenbildung. Er schreibt:

»Welch eine Kluft zwischen dem os intermaxillare der Schildkröte und des Elefanten! Und doch läßt sich eine Reihe Formen dazwischen stellen, die beide verbindet.«

Goethes Entdeckung wird von den Fachleuten zunächst bestritten. Dies hält ihn aber nicht davon ab, weitere Knochen zu untersuchen und in Reihen zusammenzustellen. Damit schafft er die Grundlage für die von ihm Morphologie genannte Wissenschaft: Sie widmet sich den Formen und den Formveränderungen in der belebten Natur.

Zeichnungen des Afrikanischen Elefanten von Johann Christian Wilhelm Waitz und der Schädel des Afrikanischen Elefanten

Abbildung: Johann Christian Wilhelm Waitz

Der Jenaer ›Goethe-Elefant‹

Das größte Original-Objekt in der Ausstellung ist der Schädel eines Afrikanischen Elefanten aus dem 17. Jahrhundert. Beim Aufbau der anatomischen Sammlungen der Universität nahm er seit Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts einen Ehrenplatz im Raum der »Säugtiere« ein.
Jahrzehntelang schlummerte er zuletzt auf dem Dachboden des Phyletischen Museums in Jena. Nun kann er ‒ neu restauriert ‒ gezeigt und in seiner Bedeutung gewürdigt werden. 
Goethe selbst hat diesen Schädel und seine Knochenstrukturen eingehend studiert und mit weiteren Elefantenschädeln verglichen. Ihn beschäftigte, in Auseinandersetzung mit Loder, auch die Frage, ob die Stoßzähne im Zwischenkiefer wurzeln oder im Oberkiefer.

Der Schädel des Afrikanischen Elefanten diente als Vorlage für genaue Zeichnungen, die Johann Christian Wilhelm Waitz 1784 in Goethes Auftrag in Jena anfertigte und die in der Ausstellung zu sehen sind. Anhand dieser Zeichnungen konnte der wiedergefundene Schädel eindeutig als ›Goethe-Elefant‹ identifiziert werden.

Schauen Sie sich gerne den Film zur Morphogenese des Elefantenschädels an! Auch anatomische Strukturen charakterisiert in ihrem Werden eine ganz eigene Beweglichkeit.

Botanikraum: Blick über den Arbeitstisch auf den Herbarschrank in der Linné-Tradition.

Foto: Nick Bauer

Botanikraum

Botanische Ordnung

Carl von Linné (1707–1778) gab vielen Pflanzen und Tieren die heute noch gültigen lateinischen Namen und schuf ein künstliches System der Pflanzenbestimmung. Ein Botanisierschrank in der Tradition des schwedischen Botanikers erlaubt es den Besucherinnen und Besuchern, selbst Herbarblätter nach seinem System einzuordnen und Wissenswertes über 21 verschiedene Pflanzenarten zu erfahren.

Linnés System erwies sich zwar als effizient, doch vermochte die künstliche Einteilung Goethe und seine Zeitgenossen letztlich nicht zu befriedigen. Der Jenaer Professor August Johann Georg Carl Batsch (1761–1802), Gründer und erster Direktor des Botanischen Gartens, entwickelte deshalb ein System, das die Familien- oder Gestaltähnlichkeiten der Pflanzengattungen berücksichtigt. Darstellen lassen sich diese natürlichen »Ver­wandtschaften« aber nur in einer komplexen Struktur. In der Ausstellung wird sie zukünftig als dreidimensionales Modell zu betrachten sein.

Stich von August Johann Georg Karl Batsch,1802

Abbildung: Adam Weise

Auf der Ostseite des Inspektorhauses hat Batsch Beete nach den angenommenen Ord­nungsbeziehungen anpflanzen lassen. Diese Beete sind nach dem originalen Gartenplan rekonstruiert worden, den Batsch 1795 publiziert hat. Auch nach dem Tod von Batsch hat Goethe an diesem Pflanzplan festgehalten.
Batsch’ Nachfolger am Botanischen Garten, Franz Joseph Schelver (1778–1832) und Friedrich Siegmund Voigt (1781–1850), befassten sich ebenfalls intensiv mit Goethes botanischen Konzepten.

Seit Darwins Evolutionstheorie (1859) werden die Ähnlichkeiten unter den Pflanzen als eine Ordnungsmöglichkeit verstanden, die auf realer Abstammung basiert. Nach genetischen Untersuchungen werden zurzeit manche botanischen Verwandtschaftsbeziehungen, die aufgrund von äußeren Merkmalen angenommenen wurden, wieder revidiert.

Im Nebeneinander der verschiedenen Pflanzenarten zeigt sich nach Goethe die »simultane Metamorphose«. Anlage und Umwelt formen die Pflanzengestalten. – Auch heute sind Goethes Anregungen noch wirksam.

Die Metamorphose der Pflanzen

Bei seinem Aufenthalt in Italien (1786–88) gewinnt Goethe wichtige Erkenntnisse zur Pflanzenwelt. Die exotische Vegetation, die er im September 1786 im Botanischen Garten von Padua erstmals bewundert, weckt in ihm die Idee, »dass man sich alle Pflanzengestalten vielleicht aus einer entwickeln könne«. Später nennt er diese Gestalt die »Urpflanze«, zuletzt »symbolische Pflanze«.

Fächerpalme (Chamaerops humilis L.)

Foto: Botanischer Garten Jena

Die Metamorphose der Blätter sieht Goethe in Padua deutlich an einer Zwerg-Fächerpalme (Chamaerops humilis L.), deren Stufenfolge er sich abschneiden lässt und als »Fetisch« mit nach Weimar nimmt und aufhebt. In der Ausstellung erinnert eine Fächerpalme aus dem Botanischen Garten der Universität Jena an dieses Ereignis.

Während man die Organe von Wirbeltieren nebeneinander betrachten und vergleichen kann, zeigt sich die Metamorphose im Pflanzenreich als eine Folge von unterschiedlichen Blattformen, von den Kotyledonen (Keimblättern) bis hin zu Blüte und Frucht. Goethe nennt dies in seinem Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären (1790) eine »sukzessive Metamorphose«, wie sie vergleichbar auch bei den Insekten vorkommt. Wenn man die einzelnen Wachstumsstadien zeichnet oder aufbewahrt, lässt sich die Blattfolge rekonstruieren.

Keimung von Ricinus communis (Wunderbaum)

Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe

Diese Zeichnung Goethes stellt die Keimung von Ricinus communis dar: Die Pflanze ist in verschiedenen Stadien ihres Wachstums zu sehen, zunächst noch mit anhängendem Samen, dann mit der Entwicklung der Kotyledonen.

Zeichnung Goethes zur Metamorphosenlehre, die eine Blütenpflanze mit einer typisierten Blattfolge sowie mehrere Insekten zeigt

Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe

Morphologie von organischen Körpern

Bei der Arbeit an seiner Metamorphosenlehre hat Goethe nicht nur schriftliche Notate, sondern auffällig häufig auch Zeichnungen genutzt. Dies erlaubt es, sein morphologisches Denken gleichsam im Entstehen zu verfolgen.
Das hier abgebildete Blatt zeigt eine Blütenpflanze mit einer typisierten Blattfolge sowie mehrere Insekten. Auch der »Lebenslauf« der Insekten ist, wie Goethe herausgestellt hat, ein »fortwährendes Umbilden, mit den Augen zu sehen und mit den Händen zu greifen«. (Schauen Sie sich unbedingt die erste Schublade links von dem Arbeitstisch an!)

In den Stichworten auf der rechten Hälfte der Zeichnung ist festgehalten, dass sich an »organischen einigermassen vollkommnen Wesen« drei »Systeme« beobachten lassen, die als »Haupt«, »Brust« und »Unterleib« gekennzeichnet werden.

Die Keimung und Entwicklung einer Pflanze zu verfolgen, ist gleichsam eine Schule des Sehens. Dies zeigt uns etwa die genaue Aufzeichnung der Entwicklungsstadien des roten Klatschmohns von Jochen Bockemühl und Ruth Richter:

Entwicklungsstadien des roten Klatschmohns

Abbildung: Jochen Bockemühl und Ruth Richter

In seinen Gedichten Die Metamorphose der Pflanzen, Die Metamorphose der Tiere und Urworte. orphisch, die in der Ausstellung zu sehen und zu hören sind, hat Goethe das Entwicklungsprinzip der Natur und die Gesetze der Morphologie auch auf das menschliche Leben angewendet.

Federzeichnung, Goethe und Schiller im Gespräch, 1804

Bild: Johann Christian Reinhart

Austausch mit Schiller zu Pflanzen und Farben

Friedrich Schiller (1859–1805) zieht 1789 nach Jena, ohne dass Goethe mit ihm in näheren Kontakt tritt. Doch am 20. Juli 1794 geraten sie nach einer Sitzung der Naturforschenden Gesell­schaft in ein Gespräch über die Metamorphose der Pflanzen. Das animiert Goethe dazu, seine botanischen Ideen genauer vorzustellen:
Er zeichnet »eine symbolische Pflanze«. Schiller antwortet: »Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.«

Der nun einsetzende Austausch ermöglicht beiden Autoren, sich ihre unterschiedlichen Auffassungen und Ansichten bewusst zu machen. Trotz aller Differenzen beginnt eine fruchtbare Arbeitsbeziehung, die bald auch Goethes Arbeiten zur Farbenlehre umfasst.

Goethe sieht die Farben als dynamische Erscheinungen. Nach seiner Überzeugung folgen auch sie den Gesetzen von Polarität und Steigerung, die er in der ganzen Natur wirken sieht. Die schwarzweiße Figur am Südfenster ermöglicht es Ihnen, Goethes wichtigste Versuche mit dem Prisma selbst zu unternehmen, getreu seinem Ausspruch gegenüber Eckermann, vom 21. Dezember 1831, die Farbenlehre solle »nicht bloß gelesen und studiert, sondern sie will getan sein«.

Sechsteiliger Farbenkreis

Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe

Sein sechsteiliger Farbenkreis aus dem Jahr 1794 ist eine Darstellung dieser Gesetze. Goethe erforscht als Erster auch die psychologische Wirkung der unterschiedlichen Farben, sie sind für ihn »Taten und Leiden des Lichts«. Die farbigen Glastafeln nach Goethes Farbenkreis erlauben einen unterschiedlich gefärbten Blick auf die Umgebung. Lassen Sie die Stimmungswerte der einzelnen Farben auf sich wirken!

 

 

 

(Text: Helmut Hühn and Margrit Wyder)